Chr. Dekesel u.a. (Hrsg.): Europäische numismatische Literatur

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Titel
Europäische numismatische Literatur im 17. Jahrhundert.


Herausgeber
Dekesel, Christian; Stäcker, Thomas
Reihe
Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung 42
Erschienen
Wiesbaden 2005: Harrassowitz Verlag
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 88,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Externbrink

Rund zehn Jahre nach einem ersten Band wird in den Wolfenbütteler Arbeiten zur Barockforschung ein weiterer Beitrag zur Wissenschaftsgeschichte der Numismatik vorgelegt.1 Gewidmet ist er der numismatischen Literatur des 17. Jahrhunderts, das als das goldene Zeitalter der antiken Münz- und Medaillenkunde gelten darf und schon von den Zeitgenossen als ein Jahrhundert der Numismatik betrachtet wurde. Das Sammeln und das Studium der Medaillen galten als eine dem Adel und insbesondere den Fürsten angemessene Form des Müßiggangs und der Entspannung. In den Münzkabinetten fürstlicher und adliger Sammler traf sich eine illustre Schar von Gelehrten, die zur Erbauung der Mäzene Medaillen erläuterten bzw. über die richtige Deutung stritten. Ohne die adligen und fürstlichen Sammlungen hätte es niemals den Aufschwung numismatischer Studien geben können, der sich vor allem im letzten Drittel des Jahrhunderts bemerkbar machte.

Anknüpfend an den vorangehenden Band setzen sich die Herausgeber das ehrgeizige Ziel "alle Aspekte der numismatischen Buchproduktion des 17. Jahrhunderts und deren Einfluss auf verschiedene Lebensbereiche in einem europäischen Rahmen zu behandeln" (S. 7). Große Bedeutung wird dabei der bibliographischen Erfassung des Schrifttums beigemessen, und so leitet Christian Dekesel den Band mit der Vorstellung der Grundlagen und Ordnungskriterien seiner 2825 Titel umfassenden Bibliographie der numismatischen Literatur des 17. Jahrhunderts ein. Diese entwickelte sich parallel zur Konjunktur der allgemeinen Buchproduktion und nahm insbesondere im letzten Drittel des Jahrhunderts stark zu.

Die insgesamt 23 Beiträge des Bandes verteilen sich ungleichmäßig auf sieben Kapitel, und zwar: Leben und Arbeit berühmter Numismatiker (I.), Geschichte der numismatischen Sammlungen (II.), Einfluss numismatischer Publikationen auf andere Aspekte des Lebens (III.), Numismatische Publikationen in Münzkabinetten und Bibliotheken (IV.), Die politische Rolle numismatischer Publikationen (V.), Europäische Zentren der numismatischen Buchproduktion (VI.) und Relevanz der numismatischen Bibliographien (VII.). Die meisten Beiträge enthält Abschnitt I., Abschnitt VII. hingegen nur einen.

Vorgestellt werden in zumeist knappen Beiträgen französische Numismatiker des frühen 17. Jahrhunderts, etwa Peiresc und Guy Patin (J.-B. Giard), die Engländer John Evelyn und Obadiah Walker (A. Burnett), Louis Savot (H. Rambach), Jean-Foy Vaillant (Chr. Dekesel), die Rezeption antiker Münzbildnisse als Vorlage für Cesare Ripas Allegorien (M. Callegari), das Werk des Begründers der dänischen Numismatik Hans Mule (1605-1669) (J.S. Jensen) sowie die Verbreitung von Heinrich Büntings Münzen als Quellenmaterial einsetzenden "Itinerarium Sacrae Scripturae", einem "Reisebuch" zur Bibel (1581), in Skandinavien (T. Sundquist). Weniger Ezechiel Spanheim (1629-1710), wie im Titel angeführt ("Zur Position Ezechiel Spanheims in der numismatischen Literatur"), als vielmehr das Werk Enea Vicos (1523-1567) stellt E. Lemberg-Ruppelt vor: Bereits Vico habe auf den Einsatz von Münzen als Korrektiv antiker Geschichtsschreibung hingewiesen und nicht erst Spanheim vor dem Hintergrund der Debatte um den historischen Pyrrhonismus. Letzter habe bereits in der Tradition der Numismatik des 16. Jahrhunderts gestanden und sei daher nicht, wie A. Momigliano in seiner bekannten Studie über die antiquarische Wissenschaft formulierte, Begründer der modernen Numismatik.2

Die Geschichte der Oxforder Münzsammlungen skizzieren D. Berry und H. Kim. Diese verdanken ihre Existenz Schenkungen von Gelehrten und Sammlern, beginnend mit Thomas Bodley, dem Begründer der nach ihm benannten Bibliothek. Mit den ersten Sammlungen setzte die numismatische Forschung in Oxford ein, die jedoch wie auch im übrigen England (siehe auch den Beitrag von R. Kagan) erst gegen Ende des 17. Jahrhunderts eigenständige und originelle Beiträge zur Numismatik vorlegte. Bis dahin blieb sie von der französischen und italienischen Numismatik abhängig.

Wie die antiken Münzen und Medaillen in anderen Kontexten rezipiert wurden, illustrieren A. Bredochi und P. Berghaus am Beispiel des Figurenschmucks der Fassaden genuesischer Adelspaläste bzw. am Bildprogramm des von Rubens und Caspar Graeverts vorbereiteten Triumphzugs des Kardinal-Infanten nach der Schlacht von Nördlingen.

Beziehen sich die meisten Beiträge auf die antike Münzkunde der Epoche, so behandelt U. Rosseaux einen Aspekt der unmittelbaren Gegenwart des 17. Jahrhunderts, nämlich die Flut von Traktaten und Flugschriften, die sich mit den Münzmanipulationen der ersten Jahre des Dreißigjährigen Krieges auseinandersetzen, allgemein bekannt als Kipper- und Wipperzeit. Deren Autoren, die übrigens – soweit der Nachweis der Autorschaft möglich ist – mehrheitlich aus lutherischem Umfeld stammten, geißelten keinen katholischen Sündenbock, sondern propagierten "eine selbstgenügsame und stabilitätsorientierte Ökonomie" (S. 309). Gerade dieser Beitrag ruft in Erinnerung, dass Numismatik keineswegs nur auf die Analyse antiker Münzen beschränkt ist, eine Tatsache, der Dekesels Bibliographie des Münzschrifttums auch Rechnung trägt (S. 14-17).

Alles in allem vermittelt der opulent, mit vielen Abbildungen in hervorragender Qualität ausgestattete Band einen informativen und fundierten Einblick in eine Blütezeit der Numismatik und stellt eine gelungene Ergänzung zum oben erwähnten Vorgängerband dar. Wer immer sich mit der Geschichte der frühneuzeitlichen Numismatik beschäftigt, findet über sie einen hervorragenden Einstieg in den Gegenstand.

Allerdings hätte sich der Rezensent manchmal etwas tiefer gehende Analysen gewünscht. Viele der Beiträge sind doch stark deskriptiv und beschränken sich auf eine Sammlung der Fakten. Eine Kontextualisierung und die stärkere Thematisierung der oben angesprochenen numismatischen "Mode" vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts wären wünschenswert gewesen. Einzig der bedauerlicherweise etwas unstrukturiert wirkende Beitrag von Lemberg-Ruppelt über Vico und die Rezeption seines Werkes geht in diese Richtung. Vermisst werden auch einige Studien zu bekannten Numismatikern des 17. Jahrhunderts, wie eben Spanheim, Andreas Morell oder Claude Nicaise.

Auffallend bei einer Publikation einer so renommierten Institution wie der Herzog August Bibliothek und eines so bekannten Verlags ist die insgesamt flüchtige und wenig sorgfältige Redaktion des Bandes: Es finden sich unvollständige Literaturhinweise (S. 49, Anm. 13), eine von Beitrag zu Beitrag variierende Zitierweise und Gestaltung der Anmerkungen, unterschiedliche Zwischenüberschriften, mal römisch, mal arabisch gezählt. Auf die Einfügung der Überschriften der Großkapitel I.-VII. des Inhaltsverzeichnisses wird in der Reihung der Beiträge verzichtet. Auch eine vom Beitragstitel divergierende Kopfzeile fiel auf, wobei letztere den Inhalt des Beitrags besser fasste als dessen Titel (Lemberg-Ruppelt - Kopfzeile: "Zur Quellendiskussion im 16. und 17. Jh. - Zäsur oder Tradierung", statt "Zur Position Ezechiels Spanheims [...]").

Anmerkungen:
1 Berghaus, Peter (Hrsg.), Numismatische Literatur 1500-1867. Die Entwicklung der Methoden einer Wissenschaft (Wolfenbütteler-Forschungen 64), Wiesbaden 1995.
2 Momigliano, Arnaldo, Alte Geschichte und antiquarische Forschung, in: Ders., Wege in die Alte Welt, Berlin 1991, S. 79-107, hier S. 92.

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